
Aus Alt mach Neu – ein Brautkleid bekommt ein neues Leben
Als meine Schwiegertochter mir ihr Brautkleid mit der Bitte ein Taufkleid daraus zu nähen übergab, war sofort klar: Aus diesem besonderen Stoff sollte etwas ebenso Einmaliges entstehen – ein Taufkleid für unser Hummelchen (Ella, unsere Enkeltochter). Ein Kleid mit Geschichte, das weiterlebt. In diesem Beitrag zeige ich dir Schritt für Schritt, wie ich das emotionale Projekt umgesetzt habe. Vielleicht steckt ja auch in deinem Schrank noch ein Schatz, der auf ein zweites Leben wartet?
Sichtung und Auswahl geeigneter Bereiche
Bevor ich zur Schere griff, habe ich mir das Kleid ganz genau angeschaut. Ich habe nach Stoffpartien gesucht, die sich durch ihre Textur oder Stickerei besonders eigneten – z. B. die feinen Tülllagen und um es blickdicht zu gestalten natürlich auch ein Teil des Futters. Für die Garnitur boten sich Teile der Spitzenmotive des Brautkleides an. So bekam ich eine Vorstellung was umsetzbar war und wie das fertige Kleidchen aussehen könnte.
💡 Tipp: Mach dir am besten Fotos vom Kleid im Ganzen und markiere darauf Stellen, die du verwenden möchtest. Das hilft beim späteren Zuschnitt.
Schnittmuster und Probekleid
Taufkleidschnittmuster sind gar nicht so leicht zu finden und dementsprechend hatte ich auch keinen Erfolg bei meiner Suche. Es war ein ärmelloses Kleidchen mit glattem Oberteil und angekraustem Rock gesucht.
Daher schlug ich ein schon älteres Schnittmuster von Butterick (5326) vor, das ich bereits in meinem Fundus hatte und genau unseren Vorstellungen entsprach. Hier konnte ich problemlos verlängern und die Taschen weglassen. Die Rückseite ist durchgeknöpft und daher perfekt für für mein Projekt geeignet.


Eigentlich ist das kein besonders schwieriges Schnittmuster. Um in der Passform keine Überraschungen zu erleben fertigte ich (zum Glück) zunächst ein Probekleid für Ella an – darin versank sie jedoch. Das Oberteil war viel zu weit.
Da mein Schnittmuster jedoch keine kleinere Größe vorsah, kam gleich die erste Hürde: Ich musste den Schnitt nach Gefühl anpassen. Dies jedoch klappte erstaunlicherweise ganz gut und das zweite Kleidchen (hier im Bild) passte nach einer weiteren Anpassung im Oberteil wunderbar (allerdings mit Mittelnaht aufgrund der Weitenkorrektur). Das Taufkleid sollte natürlich keine Mittelnaht haben, entsprechend änderte ich das ursprüngliche Papierschnittmuster noch einmal um ein kleines Stück und gab beim Halsausschnitt ein Stückchen zu, damit es am Hals nicht zu eng wurde.
💡 Tipp: Unbedingt ein Probekleid nähen! Der Brautkleidstoff ist begrenzt und es wäre zu schade, wenn du am Ende nicht mehr genug Material zur Umsetzung hast.
Hier zum Vergleich ein Foto des Original Braut-Rockteiles (Satin) mit dem aufgestecktem Rücken-Schnittmuster des Taufkleid-Oberteiles, um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie winzig das Oberteil ist (wobei hier noch die Fläche links der eingezeichneten Längsmarkierungen für die Knopfleiste eingeklappt werden)

Liebevolle Details

Gemeinsam überlegten wir, wie die Garnitur aussehen könnte und wünschten uns einstimmig einen kleinen Farbakzent in apricot, kombiniert mit dem Cremeton des Satins. Ich besorgte kleine Satin-Röschen, die ich auf eine Tüllrosette nähte und mit zwei zarten Satinbändern zu einem dezenten Gürtel verarbeitete. Der originale Brautgürtel war zu mächtig für das kleine Persönchen und ein schmales Satinband wirkte recht dürftig. Daher entschied ich mich für zwei übereinander gelegte Bänder. Eine Schulter sollte noch eine zarte Stickerei aus dem Brauttüll bekommen. Diese konnte ich recht gut ausschneiden und mit passendem Garn nahezu unsichtbar
aufnähen, da Tüll nicht franst. (Hier sind alle Elemente nur probeweise gelegt und noch nicht befestigt):
Zuschnitt und Vorbereitung des Rockteiles
Mein Schnittmuster sah einen Rock vor, der aus einem angekrausten Rechteck bestand. Julias Brautkleid war jedoch im Unterkleid als A-Linie geschnitten und die drei darüber liegenden Tüll-Lagen waren als Tellerrock (= rund!) zugeschnitten. Dementsprechend waren die Stickereimotive im Kreis angeordnet, sodass ich nicht einfach rechteckig zuschneiden konnte, wollte ich ein harmonische Anordnung der Motive und möglichst wenig störende Nähte erhalten.
Das Schnittmuster war also für den Rockteil völlig unbrauchbar. An der Stelle bekam ich Panik und zweifelte, ob ich das gewünschte Taufkleid überhaupt würde umsetzen können. Ich suchte zunächst nach einem neuen Schnittmuster mit einem Tellerrock. Das gestaltete sich jedoch in der Babygröße als unmöglich zumal ich ja gerne mein zwischenzeitlich bereits fertig genähtes Oberteil verwenden wollte.

Ich brauchte eine schlaflose Nacht Bedenkzeit und entschied mich gezwungenermaßen zum Zuschnitt ohne Vorlage, was ich noch nie gemacht hatte – erst Recht nicht bei einem Stoff, den ich nicht einfach nachbestellen kann.
Beim Unterkleid ging es mir eigentlich noch ganz gut von der Hand. Ich trennte drei der vorhandenen fünf Bahnen aus dem Brautkleid und setzte sie in A-Linie an das Futter-Oberteil. Seitlich musste ich noch ein wenig wegnehmen, damit es faltenfrei saß, denn es sollten ja noch reichlich Kräuselfältchen vom Tüll an der Taille dazukommen. Das funktionierte recht gut und schnell konnte ich (links im Bild) ein fertiges Unterkleid präsentieren. Rechts habe ich die unbestickten Tülllagen an das Oberteil drapiert um einen Eindruck von der Stofffülle zu bekommen. Hier habe ich ungefähr die Hälfte des Brautkleid-Volumens genommen.
Jetzt ging es ans Nähen
Zum Nähen habe ich mit einer neuen (!) sehr feinen Nadel und dünnem Garn gearbeitet, um das Material nicht zu beschädigen. Leider bedachte ich zu spät, dass ich die beiden Oberteile (Satin und Futter) hätte zuerst (!) miteinander verstürzen müssen, bevor ich die Rockteile annähe. Eigentlich hatte ich ein Futterkleid und ein Überkleid geplant, das funktionierte aber nicht.
Also musste ich den Unterrock vom Futter-Oberteil Stich für Stich wieder abtrennen. Dumm, dass ich auch noch abgesteppt hatte, um die Naht möglichst flach zu halten. Also hieß es gleich zwei Nähte rundherum trennen. Der kräftige Brautsatin verzieh das erstaunlich gut, das zarte Futter franste leider ziemlich aus, dies konnte ich aber dank meiner Overlockmaschine retten – ich verlor lediglich einen halben Zentimeter Länge am Oberteil, was nicht weiter tragisch war. Puh…
Jetzt ging es erst richtig los…
Das ist die obere Lage des Brautkleidtülls, hier durfte ich keinen Fehler im Zuschnitt machen, da die verwertbare Fläche verhältnismäßig klein war. Der Taillenbereich war für ein Baby viel zu stark bestickt und überladen, das wollte ich deutlichdezenter. Saumpartie war stark „zertanzt“ und von vielen Zugfäden durchzogen:
Zunächst konnte ich mir nicht so recht vorstellen, wie ich hier einen babytauglichen Überrock herausschneiden sollte. Doch dann entdeckte ich gleichmäßig verteilte Nähte, die man auf Anhieb gar nicht sah. Ich versuchte diese immense Stoffmenge einmal so auszulegen, dass ich die Schnittstruktur erkennen konnte:


Ich glaube, man erkennt hier ganz gut, dass hier Viertelkreise mit zwischengenähten Streifen (grün markiert) abwechseln. Da wir nicht zu viel Stickerei wollten, dachte ich mir, dass ich die oben herum stark bestickten Streifen einfach herausnehme und nur die verbliebenen Viertelkreise verwende und zusammen nähe. Später wollte ich an der orange markierten Linie abschneiden und den entstandenen „Teller“ an das Oberteil setzen….
Aber würde das so klappen, wie ich mir das dachte?
Und ließ sich der feine Tüll überhaupt nähen ohne sich zu verziehen? Meine Gedanken kreisten permanent um diese Schwierigkeiten, denn es gab keinen zweiten Versuch:

Es nützte nichts, ich musste es so zuschneiden wie oben eingezeichnet, eine andere Möglichkeit sah ich nicht. Also: beherzt zur Schere gegriffen und den gesamten Tüll skelettiert. Hier sind die Streifen und Viertelkreise säuberlich voneinander getrennt. Die Unterschiedlichen Längen ergeben sich durch die Schleppe. Die Streifen legte ich zur Seite und bei den Viertelkreisen sieht man ganz gut, dass ich die obere Stickerei durch die geplante kreisförmige Schnittführung (oben in orange markiert) würde wegschneiden können. Mein Plan schien aufzugehen.
Von den nächsten Schritten habe ich keine Bilder gemacht, ich brauchte meine ganze Konzentration, damit hier nichts schief ging.
Und weiter…
Zunächst testete ich mit Resttüll ein paar Nähte zur Probe und passte Fadenspannung und Nähfußdruck so lange an, bis der Tüll verzugfrei genäht werden konnte: wunderbar. Ein Problem war gelöst. Das war tatsächlich weniger schwierig als befürchtet.
Ich nähte also die Viertelkreise wie geplant zusammen und hatte beim anlegen an das zierliche Oberteil zunächst viel zu viel Material. So nahm ich ein Viertel heraus und testete erneut – nun erschien es mir stimmig. Ich steckte alles zur Probe und war zufrieden mit Fall und Wirkung – auch die Verteilung der Stickmotive war ganz hübsch, wenn auch nicht ganz symmetrisch, aber das sollte bei dem fluffigen Tüll nicht weiter ins Gewicht fallen. Also schnitt ich frei Hand zu und es funktionierte tatsächlich.
Da ich mit diesen drei einzelnen Lagen Tüll nicht gut weiterarbeiten konnte (das verrutscht fürchterlich unter der Maschine) klammerte ich alle Lagen zusammen und nähte sie mit groben Stichen oben in der Taille zusammen, sodass ich mit gefühlt „einer Lage“ weiter arbeiten konnte. Diese Naht sollte später in der Ansatznaht verschwinden, aber man sah sie so gut wie gar nicht, sodass ich hier beruhigt war. Jetzt musste das Ganze erneut im Kreis drapiert und die Stoffmenge so gleichmäßig wie möglich um das Oberteil herum verteilt werden. Ich steckte mit unendlich vielen Nadeln (die immer wieder heraus fielen, da der Tüll so löcherig ist) und hängte das halbfertige Teil immer wieder auf einen Kleiderbügel um den Fall zu kontrollieren. Ich hab mehrfach neu gesteckt, bis ich die Massen halbwegs gleichmäßig verteilt und gleichzeitig die Motive möglichst ansprechend arrangiert hatte.
Jetzt wurde es Ernst
Jetzt kam es darauf an: annähen und beten, dass der erste Versuch gelingt, denn an ein auftrennen war nicht zu denken.
Ich benutzte natürlich farblich genau passendes Garn und die Stiche waren im Tüll selbst mit Brille einfach nicht zu erkennen. Zudem würde der Tüll das Trennen garantiert nicht verzeihen. Es musste also gelingen.
Dank der vielen Nadeln und Klammern konnte ich die Massen sehr laaaangsam nähend miteinander verbinden. Große Erleichterung! Ganz viel konnte nun nicht mehr schief gehen.
Das sah jetzt tatsächlich schon wie ein Taufkleid aus und ich spürte wie sich meine Anspannung langsam löste.

Nun kam der Feinschliff
das Kleid sollte nicht ganz so lang sein, so kürzte ich es noch einmal auf halber Strecke zwischen der unteren Motivkante und dem Saum. Die oberen Lagen Tüll mussten einfach nur geschnitten werden (gar nicht so einfach bei drei Lagen und diesen Massen – aber dank Rollschneider und schrittweisem herantasten durchaus machbar). Dann konnte das Unterkleid – ein wenig kürzer als die Tülllagen – gesäumt werden.

Auf der Rückseite habe ich beide Kleider nun auch im Rockteil miteinander verstürzt. Knöpfe habe ich nur im oberen Rücken angebracht, damit Ella während der Taufe unter dem Kleid gehalten werden konnte. Dank der Stofffülle würde es dennoch nicht „offen“ erscheinen. So würde das Kleid hübsch fallen, dachte ich mir.
Nach reiflicher Überlegung habe ich mich gegen normale Knöpfe und auch gegen einen Reißverschluss entschieden, sondern transparente Babysnaps (= Kunststoffdruckknöpfe) eingeschlagen. Diese unedlen Plastikknöpfe konnten natürlich nicht so bleiben, sie hätten den ganzen Stil des Kleides zerstört, daher besetzte ich die Knöpfe von Hand mit cremefarbenen Röschen. Hier sieht man auch schon das doppelte Satinband, das ich hinten um die Seitenkante gelegt habe. (Man hätte es auch lose umbinden können, aber ich wollte verhindern, dass es verrutscht und habe es deshalb im Rücken bis zu den Seitennähten komplett festgenäht. Noch schöner wäre es gewesen, ich hätte die Bänder in der Seitennaht mitgefasst, aber ich wollte den ohnehin strapazierten Stoff nicht noch einmal auftrennen.
Hier ein Detailbild von der Tüllrosette mit den Röschen. Vorne habe ich die Bänder nur unsichtbar unter dem Tuff fixiert und ansonsten in der Taille lose gelassen. Von der Schleife fallen die Bandenden ebenfalls lose herunter


Natürlich brauchte Ella noch einen dezenten Kopfschmuck. Hier habe ich ein ganz zartes dehnbares „Stirnband“ aus dezent glänzendem Falzgummi und einem Röschenelement auf einem Tülltuff dekoriert.
Große Erleichterung
…und schließlich plumpsten auch die letzten Felsen: ich hatte es tatsächlich geschafft und freute mich wahnsinnig über das Ergebnis. Es hat Nerven gekostet, weil der Stoff so ideell wertvoll war und nicht alles wie geplant umsetzbar war, aber jede Minute hat sich gelohnt und ich freue mich sehr, dass unsere kleine Hummel ein solch besonderes Kleid aus dem Brautkleid ihrer Mama tragen konnte. ♥
Damit habe ich mein bisher größtes und aufregendstes Nähprojekt erfolgreich abgeschlossen. Ganz nebenbei habe ich bei dem Projekt noch eine Menge gelernt. Learning by doing – das hört nie auf.


Das Taufkleid durfte unsere beiden Enkelmädchen an ihren großen Tagen begleiten. Wir hatten wunderschöne Familienfeste.💜
Danke fürs lesen, wenn du es bis hierher geschafft hast.
P.S.: Dies war und bleibt ein rein privates Projekt.
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Und zuletzt bekam sie noch ein kleines Taschentuch mit dem Taufspruch zur Erinnerung und vielleicht dient es einmal als „etwas Altes“ zu ihrer Hochzeit. Wer weiß…
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